Die Kryosphäre umfasst alle Bereiche der Erde, in denen Wasser in seinen festen Aggregatszuständen vorkommt. Dazu zählen Permafrost, Schnee und Gletschereis. Aus folgenden zwei Hauptgründen sind Gletscher und Schnee von grösster Bedeutung: Die Albedo, also der Anteil der von der Erdoberfläche reflektierten Strahlung, sinkt bei einer Abnahme an Schnee- oder Eisbedeckung massiv. Schnee reflektiert ca. 90 % der einfallenden Strahlung, Eis rund 60 %, Wasser hingegen nur 10 %. Der restliche Anteil wird absorbiert, also in Wärme umgewandelt und beschleunigt damit die Erwärmung der Erde erheblich. Ebenfalls sehr bedeutend ist die Kryosphäre durch den Fakt, dass hauptsächlich in den beiden Eisschilden ein potentieller Meeresspiegelanstieg von 66 m (!) gespeichert ist (Quelle: IPCC 2013:321 (Kapitel 4)). Für detaillierte Informationen zum bekannten Eis-Albedo-Feedback wird auf das Deutsche Meereisportal verwiesen. Insbesondere die unterste Abbildung verdeutlicht die enorme Bedeutung der Albedo. |
Seewengletscher 2016 |
Gemäss der einzigartigen Wissenschaftsinstitution Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC (2013:321), an der vierjährlich rund 2000 Klimawissenschaftler einen "state of the art" erarbeiten, ist in allen Gebirgsgletschern der Welt ein Meeresspiegeläquivalent von 41 cm gespeichert. Die beiden verbleibenden Eisschilde, der arktische (=grönländische) sowie der antarktische Eisschild hingegen verfügen über ein Meeresspiegeläquivalent von 6'570 cm. Bislang tragen die Gletscher - nach der thermischen Expansion des Wassers durch die Erwärmung - zum Hauptteil des Meeresspiegelanstiegs bei. Insbesondere der Beitrag aus dem Abschmelzen des grönländischen Eisschildes ist derzeit jedoch exponentiell am Zunehmen, wie der folgenden Abbildung aus IPCC 2013:367 zu entnehmen ist.
Quelle: IPCC 2013 Physical Science Basis Kapitel 4
Mit unserem aktuellen, auf fossilen Energieträgern wie Erdöl, Erdgas und Kohle basierenden Konsum- und Freizeitverhalten steuern wir auf eine Erderwärmung von rund 4 °C bis 2100 zu. Bis 2012 waren lediglich grobe Abschätzungen mittels Grad-Tag-Faktor Eisschmelze, jedoch fixer Topographie und ohne Einbezug von Feedbacks vorhanden. Diese liessen den grönländischen Eisschild bei einer globalen Erwärmung von 3,1 °C gegenüber den präindustriellen Temperaturen instabil werden. Neue Modellrechnungen eines regionalen Klimamodells, gekoppelt mit einem realitätsnäheren Eisschildmodell, welches Albedo- und Topographiefeedbacks berücksichtigen, zeigen jedoch, dass bereits bei einer Erderwärmung von 1,6 °C gegenüber den präindustriellen Temperaturen der entscheidende Grenzwert für den grönländischen Eisschild überschritten wird (Robinson et al. 2012). In der Folge schmelzen verhältnismässig schnell rund 3 mio km^3 Eis ab. Dies entspricht dem 500'000-fachen Wasservolumen des Thunersees oder rund 150-mal dem Baikalsee, dem grössten Süsswassersee Asiens mit einer Fläche fast so gross wie die Schweiz. Dadurch steigt der Meeresspiegel um rund 500 cm an (vgl. Linie E1 aus nachfolgende Grafik aus Robinson et al. 2012:430, welche den gegenwärtigen Stand des Eisschildes wiederspiegelt - in umgekehrter Richtung über E3 könnte sich der Eisschild nur neu bilden, wenn die Temperatur auf eine Temperatur abkühlt, die weniger als 0,3 °C über der heutigen Temperatur liegt).
Quelle: Robinson et al. (2012:430)
Nicht zu vernachlässigen ist zudem der Beitrag aus der thermischen Ausdehnung des Meerwassers durch die Erwärmung. Wasser verfügt bei 4 °C über die höchste Dichte, Salzwasser mit 30 Promille Salzgehalt bei -1,6 °C. Gemäss dem jüngsten IPCC Report (IPCC 2013:1151) führte die Gletscherschmelze im Zeitraum 1993-2010 zu einem Meeresspiegelanstieg von durchschnittlich 0,92 mm/Jahr, die thermische Ausdehnung des Meerwassers als Ergebnis der in demselben Zeitraum stattgefundenen Erderwärmung zu 1,49 mm/Jahr. Dieser ist derzeit noch grösser als der Beitrag aus abschmelzenden Gletschern und Eisschilden.
Quelle: www.meereisportal.de sowie Spreen et al. 2008.
Gemäss einer aktuellen Studie von Notz und Stroeve (2016) führt jede ausgestossene Tonne CO2 zu einer Abnahme der September-Meereisbedeckung von 3 m. Auf ebendiesen 3 m wird die einkommende Strahlung also nicht mehr zu mindestens 60, wenn nicht sogar 90 % reflektiert, sondern nur noch zu 10 %, was das Abschmelzen durch entsprechende 90 % statt 10-40 % Absorption fortlaufend verstärkt. Zur Einordnung: Der Durchschnittsschweizer produziert pro Jahr 6 t CO2. (Ihre individuelle CO2-Produktion lässt sich gratis über Ecospeed private berechnen (Anmeldung nötig) und mit obiger Studie auf Meereisverlust umrechnen.)
Quelle: National Snow and Ice Data Center sowie Spreen et al. 2008.
Die Schweizer Gletscher haben bereits heute erheblich mit dem Klimawandel zu kämpfen. Auch wenn im Winter viel Schnee
fällt und der Frühling eher kühl vonstatten geht, führt die bereits deutlich grössere Zahl an Sommertagen zu einem rasanten Abschmelzen der
winterlichen, schützend wirkenden Schneedecke. Sobald Gletschereis zum Vorschein kommt, fällt wiederum die grosse Veränderung der Albedo ins
Gewicht: Das kompakte und durch Staub, Aerosole und kleine Steine bedeckte Eis reflektiert nur rund halb so viel der einfallenden Strahlung
verglichen mit Schnee, wandelt also doppelt so viel Strahlung in Wärme um. Pro °C über Null und Tag schmelzen rund 5,3 mm Wasseräquivalent Schnee,
jedoch 11,7 mm Wasseräquivalent Eis. Daher ist für die Massenbilanz von Gletschern nicht die Winterkälte, sondern die Sommerwärme entscheidend.
Ob die Temperatur über Gletschern im Winter -10 °C oder -15 °C beträgt, spielt keine Rolle, ob die Sommermitteltemperatur hingegen 3 oder 7 Grad beträgt, beeinflusst
die Schmelze dagegen sehr stark.
Der "Zustand" der Gletscher wird oft mit Längenänderungen beschrieben. Diese stellen jedoch verspätete Reaktionen auf den Witterungsverlauf dar mit - je nach
Gletscher - 5 bis über 50 Jahren Verspätung und werden zudem stark von der Topographie beeinflusst. So können Gletscher beispielsweise wenn sich in einem Jahr die Gletscherzunge an einer Steilstufe
vom Nährgebiet trennt, eine sehr grosse Längenänderung erfahren. Ein deutlich geeigneteres Mass als die Länge ist daher die Gletschermassenbilanz: Dabei wird jeweils
im Frühsommer, vor Beginn der Schmelze, die akkumulierte Schneemenge in Form von mm Wasseräquivalent gemessen. Im Herbst, nach Ende der Schmelzsaison, jedoch vor
den ersten Schneefällen, wird die abgeschmolzene Schnee-, Firn- und allenfalls Eisschicht in mm Wasseräquivalent gemessen. Diese Messwerte werden
auf die gesamte Gletscherfläche interpoliert. Ist nun die sommerliche Schmelze grösser als die winterliche Akkumulation, ist die Massenbilanz
negativ und der Gletscher hat im Schnitt xx mm an Eis verloren. Dazu nachfolgend ein Beispiel:
Im Hitzesommer 2015 haben die Schweizer Gletscher gemäss Bundesamt für Umwelt, MeteoSchweiz und ETHZ im Schnitt
100 bis 200 cm Eis verloren, also eine stark negative Massenbilanz erfahren (BAFU 2015). Um diese Menge an Masseverlust zu kompensieren, müssten im Folgewinter
9 bis 18 m Schnee fallen und dieser die folgenden Sommer unbeschadet überstehen.
Eine Faustformel besagt, dass, damit ein Gletscher seine Länge halten kann, am Ende der Schmelzsaison (Anfang Oktober) noch rund 2/3 der
Gletscherfläche mit Schnee bedeckt sein muss. Der genaue Anteil hängt von der Gletscherform ab: Bei einem breiten Ablationsgebiet liegt der
Anteil tiefer, bei einer langen Gletscherzunge höher.
Dem interessierten Leser seien die Simulationen von Guillaume Jouvet (ETHZ) (Abschnitt "Glacier simulations") empfohlen. Dabei rechnet er für den Grossen Aletschgletscher, den grössten Gletscher der Alpen, verschiedene Klimaszenarien. Werden per sofort keine Treibhausgase mehr emittiert, wird der Aletschgletscher ungefähr die Hälfte seines heutigen Volumens verlieren. Als grosser Gletscher reagiert er besonders träge auf Veränderungen der Massenbilanz (Schneeakkumulation und Schmelze) und findet sein neues Gleichgewicht erst über 50 Jahre später. Bei 2 °C globaler Klimaerwärmung wird sich die Gletscherzunge bis Ende Jahrhundert beinahe bis zum Konkordiaplatz, wo heute 900 m dick Eis liegt, zurückgezogen haben, ist jedoch noch weit von seinem neuen Gleichgewichtszustand entfernt.
Die Schweizer Gletscher werden noch in Jahrhundertfrist grösstenteils verschwunden sein. Um dies zu verhindern, ist es derzeit leider bereits zu spät. Wichtig ist, dass wir jetzt klug handeln und die freigegebene Landschaft dazu nutzen, noch extremere Ausmasse der Klimaerwärmung und damit einhergehende extreme Flüchtlingsströme zu verhindern. Kaum ein anderes Land ist zur Wasserkraftnutzung so gut geeignet wie die Schweiz, das Wasserschloss Europas. Abgelegene, heute noch vergletscherte Täler werden in einigen Jahrzehnten karge, vegetationsfreie Landschaft freigeben. Nutzen wir nicht alle, sondern eine intelligente Auswahl dieser Täler im Sinne multifunktionaler Speicherkraftwerke, die nicht mehr primär der Stromproduktion, sondern ebenso der Trinkwasserversorgung und Bewässerung in extremen Sommertrockenperioden, dem Hochwasserrückhalt in Starkniederschlagsphasen oder dem Ersatz alter Hüttenzustiege dienen.
Einen Überblick über nötigen Vorkehrungen um die oben dargelegten gefährlichen Entwicklungen zu vermeiden und Darlegung der wichtigsten Handlungsfelder anhand aktueller Treibhausgasbilanzen findet sich auf der entsprechenden Wissensseite.
Guillaume Jouvet (ETHZ) präsentiert hier anschauliche Reaktionen des grossen Aletschgletscher (grösster Alpengletscher) auf verschiedene Klimaszenarien. Bereits bei 2 °C Erwärmung wird ein Grossteil des Gletschers 2100 verschwunden sein - ohne dass der Gletscher bereits sein Gleichgewicht wiedergefunden hätte: http://people.ee.ethz.ch/~jouvetg/
Schweizerisches Gletschermessnetz GLAMOS, betrieben von der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz sowie der VAW/ETHZ sowie Uni Fribourg und Zürich. www.glaciology.ethz.ch
Vielfältiges Bild- und Unterrichtsmaterial zu einer Auswahl von bekannten Alpengletschern. www.swisseduc.ch
Auf globaler Ebene gibt der World Glacial Monitoring Service WGMS zweijährlich ein Bulletin der Massenbilanzen ausgewählter Gletscher heraus. www.wgms.ch